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Tanja Reize – Das Verbot


einz1975

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Stellen wir uns eine Zukunft vor, in der die Menschheit durch den Einsatz Künstlicher Intelligenz einen Entwicklungsstand erreicht hat, der Harmonie, Gleichberechtigung und ein Leben im Einklang mit der Natur ermöglicht. Eine perfekte Utopie, könnte man meinen: frei von Ausbeutung, frei von Armut, frei von Kriminalität. Genau in diesem Szenario lebt die junge Controllerin, deren Alltag von modernster Technologie geprägt ist. Gemeinsam mit einigen Mitbewohnern teilt sie sich eine Wohnung, ihr gesamtes Leben wird jedoch von einem Armband überwacht, ein Instrument, das nicht nur körperliche Zustände, sondern auch Gefühle und Gedanken kontrolliert. Trotz dieser scheinbar vollkommenen Welt verspürt sie eine Leere: Das Verlangen nach Nähe, nach Liebe, nach einem Menschen an ihrer Seite, der ihr nicht nur Zuneigung schenkt, sondern auch das Geheimnis körperlicher Lust offenbart. Doch die Begegnung mit einem solchen Menschen bringt weit mehr mit sich als nur romantische Erfüllung, sie führt sie in ein gefährliches Terrain. Denn es gibt ein Thema, über das in dieser Gesellschaft nicht gesprochen werden darf. Ihre Suche nach Liebe wird so unweigerlich auch zur Suche nach Wahrheit.

Tanja Reize verbindet in Das Verbot Elemente der Science-Fiction mit explizit dargestellter Erotik. Wer vor exotischen, teils fetischisierten Darstellungen zurückschreckt – Herrschaft und Unterwerfung, Lust und Hingabe – sollte Abstand nehmen. Für alle anderen entfaltet sich eine Erzählung, die zwei scheinbar gegensätzliche Ebenen kunstvoll verknüpft: den visionären Zukunftsentwurf und die intime, erotische Erfahrung. Diese Mischung wirkt keineswegs plump, sondern erzeugt mit anschaulichen Bildern und einer atmosphärisch dichten Sprache eine besondere Spannung. Zwar steht bisweilen die Suche nach dem „Herrn der Lust“ stark im Vordergrund, doch eröffnet genau dies einen ungewöhnlichen Zugang, der auch Sci-Fi-Leser jenseits klassischer Genremuster ansprechen kann.

Die utopische Zukunft, die Reize entwirft, ist faszinierend: Autonome Roboter übernehmen sämtliche Arbeit, sodass der Mensch nicht mehr arbeiten muss, sondern frei leben kann. Wer sich freiwillig in die Gesellschaft einbringt, wird mit besonderen Privilegien belohnt. Krankheiten, Armut und Ängste sind durch die totale Kontrolle der Armbänder eliminiert, nicht nur körperlich, sondern auch geistig. Für die Protagonistin bedeutet dies ein Leben in Sicherheit, Stabilität und Ordnung. Doch ein Ereignis aus ihrer Vergangenheit wirft Schatten: Ihre Schwester, die an einem geheimen Forschungsprojekt beteiligt war, ist spurlos verschwunden. Erst eine rätselhafte Nachricht bringt Bewegung in ihr Leben und eröffnet eine zweite Erzählebene: die Suche nach den Hintergründen des Projekts und damit nach einer Wahrheit, die so brisant ist, dass sie die Menschheit überfordern könnte.

Diese Reise zur Aufdeckung des Geheimnisses wird zugleich zu einer Reise der Selbstfindung der Hauptfigur. Die Parallelen zwischen der äußeren und inneren Suche sind zwar stellenweise etwas offensichtlich, dennoch sorgt die Autorin mit cleveren Wendungen und gut durchdachten Zukunftsideen immer wieder für Spannung. Auffällig ist die starke Gewichtung innerer Monologe: Häufig erfahren wir die Handlung durch die Gedanken der Protagonistin, was zu einer sehr persönlichen, fast intimen Erzählweise führt. Dialoge hätten hier zwar zusätzliche Dynamik geschaffen, doch gerade die introspektive Perspektive verleiht der Geschichte eine besondere Intensität.

Fazit:
Mit Das Verbot gelingt Tanja Reize eine ungewöhnliche Verbindung zweier Genres. Wer bei der Kombination von Erotik und Science-Fiction an platte Szenen in dunklen Schlafzimmern denkt, wird überrascht: Hier entfalten sich nicht nur reizvolle, explizite Passagen, sondern auch ein durchdachter, utopischer Zukunftsentwurf. Die Autorin zeigt, dass Sexualität ebenso Teil menschlicher Existenz ist wie das Streben nach Wahrheit, Erkenntnis und Freiheit. Die doppelte Spurensuche, nach dem Geheimnis des Weltraumprojekts und nach der eigenen Identität, verleiht der Erzählung Tiefe. Das Verbot ist damit kein typischer Sci-Fi-Roman, sondern ein mutiges Crossover, das mit sprachlicher Präzision, spannenden Ideen und intensiven Bildern eine neue Perspektive eröffnet. Und am Ende bleibt die Erkenntnis: Selbst in einer perfekten Utopie bleibt das Mysterium zwischen zwei Menschen ein Geheimnis, das keine KI und kein Programm je vollständig erklären kann.

Matthias Göbel

Autorin: Tanja Reize
Taschenbuch: 291 Seiten
Verlag: epubli - Selfpublisher
Veröffentlichung: 12.09.2025
ISBN: 9798262712199

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