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Gerd Schmidinger - Horizont der Götter


einz1975

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Grüne Wälder, stille Bäche und das geheimnisvolle Schweigen einer isolierten Gemeinschaft. In einem abgelegenen Tal lebt ein kleines Volk fernab von allen anderen. Ihre Existenz ist geprägt von uralten Ritualen, strengen Traditionen und einer tiefen Ehrfurcht vor den Göttern, denen sie in regelmäßigen Abständen Opfer darbringen. Meist handelt es sich dabei um einfache Essensgaben – symbolisch und rituell – doch hin und wieder sind die Opfer bedeutungsvoller. Jeder, ob jung oder alt, hat seinen Beitrag zu leisten. Auch die kleine Mári. Doch eines Tages passiert das Undenkbare: Mári vergisst ihr Opfer. Sie behält es für sich – eine Handlung, die nach den Gesetzen der Götter mit dem Tod bestraft wird. Aber nichts geschieht. Kein Donnerhall vom Himmel, kein strafender Blitz. Stattdessen beginnt sie zu glauben, sie sei etwas Besonderes. „Der Liebling der Götter“, denkt sie sich – ein Glaube, der ihr Selbstbewusstsein stärkt, ihre Neugier nährt und schließlich ihre Rolle innerhalb der starren Gemeinschaft grundlegend verändert.

Was zunächst wie ein klassisches Coming-of-Age-Märchen anmutet, entfaltet sich zunehmend als tiefgründige Parabel über religiöse Dogmen, soziale Kontrolle und den Mut, bestehende Strukturen zu hinterfragen. Schmidinger erzählt mit viel Feingefühl die Geschichte eines Mädchens, das zur Frau heranwächst, erste Erfahrungen mit Liebe macht und auf ein düsteres Geheimnis des Dorfpriesters stößt – ein Wissen, das nicht ans Licht gelangen darf. Denn: Die Götter sehen nicht, was unter der Erde geschieht. Mári jedoch bringt das Verborgene an die Oberfläche – mit dramatischen Folgen. Die Fassade jahrhundertealter Unterdrückung beginnt zu bröckeln, und eine neue Idee von Freiheit greift um sich. Doch die Strafe der Götter lässt nicht lange auf sich warten.

Parallel dazu tritt eine zweite Figur in Erscheinung: Anatok. Ein empathisches, reflektiertes Wesen aus einer fernen Welt. Ein Alien, das sich auf die Suche nach den Wurzeln seiner eigenen Existenz begibt – nach Herkunft, Geschichte und Identität seines Volkes. Anatok steht im Kontrast zu Mári: Während sie von innen gegen die Zwänge ihrer kleinen Welt rebelliert, betrachtet er sein Universum mit Distanz und Weitblick. Schmidinger zeichnet hier das Bild einer fremden Spezies – mit eigenen Mythen, Normen und Zwängen. Technik, Raumschiffe oder futuristische Gadgets werden nur spärlich beschrieben; „Horizont der Götter“ ist Science-Fiction nur im weitesten Sinne. Es ist vielmehr eine soziologische Reflexion in einem anderen Gewand.

Was beide Figuren verbindet, ist der Wunsch nach Erkenntnis – und der Widerstand gegen starre Systeme. Doch genau darin liegt auch eine Schwäche des Romans: Die Gewichtung der Erzählstränge ist unausgewogen. Mári dominiert gut zwei Drittel des Buches, was über weite Strecken wie ein Jugendroman wirkt – inklusive unnötiger Szenen, die den Erzählfluss hemmen und mehr Figurentiefe als Plotentwicklung liefern. Ihre kindliche Naivität ist anfangs charmant, wirkt später jedoch zunehmend fehl am Platz. Auch Anatoks Erzählung bleibt hinter ihren Möglichkeiten zurück. Zwar bietet sie eine interessante Perspektive und stellt wichtige Fragen über Macht, Wahrheit und Erinnerung, doch die Einführung erfolgt spät und abrupt. Die Verbindung zwischen den beiden Handlungssträngen wirkt eher lose montiert als organisch verwoben – fast so, als habe man zwei eigenständige Geschichten lediglich nebeneinandergestellt, statt sie sinnvoll zu verknüpfen.

Fazit:
Horizont der Götter von Gerd Schmidinger wagt viel – erreicht jedoch nicht alles. Die Idee, religiöse Mythen mit außerirdischer Zivilisationskritik zu verknüpfen, ist originell und bietet reichlich Stoff zum Nachdenken. Doch in der Umsetzung fehlt es dem Werk an Balance. Zu sehr konzentriert sich der Autor auf Máris Werdegang, sodass das Sci-Fi-Elemente nur spärlich zur Geltung kommen. Die Revolte der Jugend gegen eine autoritäre Ordnung mag als Allegorie funktionieren, verliert jedoch durch inhaltliche Wiederholungen und dramaturgische Längen an Kraft. Für ein jüngeres Publikum mag die Geschichte inspirierend sein – ein Aufruf, das Bestehende zu hinterfragen und für Veränderung einzustehen. Für erfahrene Science-Fiction-Leserinnen und -Leser hingegen dürfte der Roman inhaltlich und erzählerisch zu konventionell ausfallen.

Matthias Göbel

Autor: Gerd Schmidinger
Taschenbuch: 312 Seiten
Verlag: Books On Demand Verlag
Veröffentlichung: 21.10.2024
ISBN: 9783759765727
 

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