Zum Inhalt springen
...so lecker wie die krosse Krabbe!

Joseph Singer – Crimewatch: Gefährliche Träume


einz1975

Empfohlene Beiträge

Willkommen in einer düsteren Zukunftsvision der europäischen Metropole Strasbourg. Europa hat sich abgeschottet, regiert von einer streng hierarchischen Partei, die über jedes Detail des Lebens wacht. Freiheit ist zu einem Privileg geworden, das man sich verdienen muss: Nur wer genügend Brave Score-Punkte sammelt, ein Maßstab für Loyalität, Gehorsam und gesellschaftlichen Nutzen, darf innerhalb der Mauern dieser neuen Ordnung leben. Alle anderen werden gnadenlos ausgewiesen. Inmitten dieses Systems steht Sherif, ein pflichtbewusster Polizist und treuer Diener des Regimes. Er ist Experte für das hochentwickelte, KI-gesteuerte Überwachungssystem Crimewatch, das jeden Winkel der Stadt mit Argusaugen überwacht. Als er an einem scheinbar gewöhnlichen Tag den Auftrag erhält, eine verschwundene Person zu suchen, ahnt er nicht, dass dieser Fall sein gesamtes Weltbild ins Wanken bringen wird. Bald überschlagen sich die Ereignisse, und Sherif findet sich in einem Strudel aus Lügen, Manipulation und Gewalt wieder – gefangen zwischen Loyalität und Wahrheit.

Singer beschreibt Sherif zu Beginn mit viel Gespür für Details: ein Mann, gefangen zwischen Routine und Pflicht, dessen Tage von Monotonie und Überwachung geprägt sind. Die Dialoge mit seinem Kollegen wirken lebendig und tragen dazu bei, die sterile Atmosphäre dieser Zukunft greifbar zu machen, auch wenn sich manche Formulierungen wiederholen und dadurch an Wirkung verlieren. Dennoch gelingt es dem Autor, die Zukunft zum Leben zu erwecken. Schwebende Drohnentaxis, medizinische KI-Assistenten, digitale Identitäten über VR-Brillen oder implantierte Linsen, all das wirkt zugleich futuristisch und erschreckend realistisch. Die Parallelen zu Klassikern wie Blade Runner oder Minority Report sind unverkennbar: dystopische Städte, künstliches Licht, das niemals ausgeht, und Menschen, die in einer technokratischen Gesellschaft nur noch funktionieren. Besonders eindrucksvoll sind die kleinen Alltagsbeobachtungen, etwa wenn Sherif in einem automatisierten Restaurant sein Abendessen bestellt.

Das Crimewatch-System selbst ist eines der interessantesten Elemente des Romans. Eine allsehende Überwachungs-KI, die Personen in Echtzeit identifiziert und Bewegungsmuster analysiert. Eine erschreckende Weiterentwicklung realer Technologien, die heute bereits in Ansätzen existieren. Doch Sherif, der sich auf diese Technik verlassen sollte, beginnt bald, an ihr zu zweifeln. Trotz modernster Mittel verlässt er immer häufiger das sterile Polizeibüro und begibt sich auf altmodische Weise in die Straßen, um selbst zu ermitteln. Dabei stößt er auf eine Untergrundbewegung von Rebellen, die sich gegen die Partei, gegen Überwachung und Unterdrückung wenden. Ihr Ziel: die Zerstörung des Systems, das die Menschen versklavt. Diese Motive sind nicht neu, aber Singer gelingt es, sie mit glaubwürdigen Wendungen und zunehmender Spannung zu erzählen. Besonders gegen Ende zieht die Handlung deutlich an, und Sherif muss durch tiefe persönliche Krisen, Verrat und Verlust gehen, ehe er den Fall und sich selbst wirklich begreift.

Der Roman konzentriert sich stark auf seine Hauptfigur. Sherif ist kein makelloser Held, sondern ein vielschichtiger Charakter: launisch, manchmal naiv, oft einsam und auf seltsame Weise bemitleidenswert. Seine innere Zerrissenheit macht ihn glaubwürdig, auch wenn der Leser sich manchmal mehr Einblicke in die Nebenfiguren wünschen würde, denn sie bleiben oft blass, obwohl sie das Potenzial hätten, die Handlung zu vertiefen. Singer zeigt interessante Schilderungen alltäglicher Zukunftsdetails, etwa in der Beschreibung von Kaffeerobotern, virtuellen Freizeitwelten oder synthetischen Drogen, die das Dasein der Menschen erträglicher machen sollen. Die Actionsequenzen hingegen bleiben oft knapp, fast nüchtern abgehandelt.

Fazit:
Crimewatch: Gefährliche Träume ist eine Near-Future-Dystopie, die vertraute Themen neu verwebt: totale Überwachung, künstliche Intelligenz, gesellschaftliche Kontrolle und den Kampf eines Einzelnen gegen das System. Joseph Singer entwirft eine Welt, die gleichzeitig faszinierend und beängstigend nah wirkt. Zwar erfindet er das Genre nicht neu, denn vieles erinnert zu sehr an bekannte Zukunftsvisionen, doch seine ruhige, fast dokumentarische Erzählweise verleiht dem Roman eine eigene Note. Was bleibt, ist das Bild eines Mannes, der in einer Welt der Algorithmen versucht, menschlich zu bleiben. Wer Detektivgeschichten mit dystopischem Einschlag schätzt, wird hier fündig, auch wenn man sich am Ende vielleicht wünscht, Sherif hätte in dieser dunklen Zukunft ein wenig mehr Hoffnung gefunden.

Matthias Göbel

Autor: Joseph Singer
Taschenbuch: 270 Seiten
Veröffentlichung: 28.08.2025
Verlag: BoD - Books on Demand - Selfpublisher
ISBN: 9783695129171
 

71zIejcMjBL._SL1500_.jpg

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Bitte melde Dich an, um einen Kommentar zu hinterlassen

Du kannst nach der Anmeldung einen Kommentar hinterlassen



Jetzt anmelden
  • Bilder

×
×
  • Neu erstellen...

Wichtige Information

Diese Seite verwendet Cookies um Funktionalität zu bieten und um generell zu funktionieren. Wir haben Cookies auf Deinem Gerät platziert. Das hilft uns diese Webseite zu verbessern. Du kannst die Cookie-Einstellungen anpassen, andernfalls gehen wir davon aus, dass Du damit einverstanden bist, weiterzumachen. Datenschutzerklärung Beim Abensden von Formularen für Kontakt, Kommentare, Beiträge usw. werden die Daten dem Zweck des Formulars nach erhoben und verarbeitet.