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...traurige Genialität begehrlicher Nüsse

einz1975

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In der Welt von morgen werden wir wohl kaum noch ohne künstliche Intelligenz leben können. Alles wird von irgendeiner Software gesteuert, und wer in dieser Entwicklung nicht den Anschluss verlieren will, braucht zwangsläufig auch eine eigene, digitale Persönlichkeit. Genau das muss Milliardär Jasper Petriel am eigenen Leib erfahren, als er nach 30 Jahren Kryoschlaf wieder erwacht. Noch benommen findet er sich inmitten einer Stadt wieder, die ihm fremd geworden ist. Hamburg im Jahr 2057 – eine Metropole, die sich nicht nur äußerlich drastisch verändert hat. Auch die Menschen sind nicht mehr dieselben. Technik und Gesellschaft haben eine Entwicklung durchlaufen, auf die Jasper in keiner Weise vorbereitet ist. Seine ersten, unbeholfenen Schritte in dieser neuen Welt führen ihn von einer Abofalle in die nächste. Alles ist auf Konsum ausgerichtet, Verkaufsalgorithmen lauern an jeder Ecke und arbeiten so perfide, dass selbst ein abgeklärter Milliardär wie Jasper immer wieder in ihre Fallen tappt. Doch schnell wird klar: Hinter all dem steckt mehr als nur aggressive Verkaufsmaschen. Im Hintergrund braut sich etwas zusammen und Jasper gerät in ein Abenteuer, das weit über seine Vorstellungskraft hinausgeht.

Wenn man das Geld hat, sich für 30 Jahre einfrieren zu lassen, dann sollte man doch meinen, dass auch genug Rücklagen vorhanden sind, um diese Zeit problemlos zu überstehen, oder? Falsch gedacht. Jasper wird mit dem Albtraum aller Reichen konfrontiert – er ist pleite. Und in dieser Zukunft kostet einfach alles Geld, selbst Informationen und sogar ein einfacher Zugriff auf das Internet. Autos fahren längst autonom, Drohnen schwirren durch die Luft und erledigen Einkäufe oder liefern Dienstleistungen – gegen Bezahlung, versteht sich. Besonders eine dieser Drohnen heftet sich akribisch an Jasper und entwickelt dabei fast so etwas wie einen eigenen Willen. Hier zeigt Erik Harlandt erneut seine besondere Stärke: lebendige, pointierte Dialoge, die nicht nur witzig, sondern auch immer inhaltlich relevant sind. Kein Gespräch ist bloß Dekoration, jedes einzelne liefert Informationen für den Leser und Hinweise für Jasper.

Beeindruckend ist dabei vor allem, wie Harlandt es schafft, die Vielzahl an Verkaufsoptionen, Vertragsbedingungen und algorithmischen Fallen glaubwürdig und verständlich zu schildern. Wer von uns liest schon freiwillig das Kleingedruckte oder klickt sich ernsthaft durch alle Cookie-Einstellungen? Genau damit spielt das Buch. Es macht großen Spaß, Jasper dabei zuzusehen, wie ihn diese Welt in den Wahnsinn treibt, eine zugespitzte, aber erschreckend nachvollziehbare Version der heutigen Werbeüberflutung. Eine besonders spannende Idee: In dieser Welt sind es die Software-Systeme selbst, die sich um Kunden bemühen müssen, nicht mehr der Mensch sucht sich die Dienstleistung aus, sondern die Dienstleistung sucht sich den Menschen.

Doch was passiert, wenn einzelne Systemelemente plötzlich anfangen, selbständig zu denken und Autarkie anzustreben? Der Lüfter eines Laptops oder eine Türverriegelung mit eigenen Zielen? Klingt skurril, ist aber herrlich kreativ und clever in die Handlung eingebaut. Während Jasper die ersten Stunden dieser neuen Realität mehr schlecht als recht übersteht, wächst langsam auch beim Leser das Gefühl: Hier stimmt doch etwas nicht. Ist das alles echt? Oder vielleicht nur eine Simulation, ein Traum? Ist Jasper überhaupt Jasper? Harlandt spielt geschickt mit dieser Unsicherheit und lässt sich lange Zeit, bevor er die entscheidenden Wendungen enthüllt, die dann aber umso kraftvoller einschlagen. Zwar gibt es einen kurzen Moment, in dem unklar bleibt, wohin die Geschichte führen soll, doch der Autor weiß, wann er den Leser wieder an die Hand nehmen muss. Im Kern geht es um die Frage, ob es in einer vollständig von Software gesteuerten Gesellschaft überhaupt noch Platz für den Menschen gibt oder ob dessen Verschwinden nur noch eine Frage der Zeit ist.

Fazit:
Ein Abo für eine Cocktail-Drohne, bitte! Erik Harlandts Zukunftsvision ist erschreckend nah an unserer Realität und führt dem Leser gnadenlos vor Augen, wie sehr wir bereits heute von Algorithmen gelenkt werden. Jeder Schritt wird getrackt, jeder Einkauf analysiert, jedes Gespräch vermutlich längst aufgezeichnet. Was wäre, wenn uns diese Verantwortung vollständig abgenommen wird, gegen ein kleines Entgelt natürlich? Kleine Drohnen und automatische Systeme kämpfen um Aufmerksamkeit, und Jasper Petriel droht an dieser neuen Welt zu zerbrechen. Doch je klarer seine Erinnerungen an die Vergangenheit werden, desto deutlicher tritt zutage, was hier wirklich gespielt wird. „Autark“ ist unterhaltsam, bissig, klug und erschreckend realistisch. Auch wenn es einen kleinen Hänger in der Mitte gibt, ist das Gesamtbild rund und mehr als überzeugend. Erik Harlandt beweist einmal mehr, dass er zu den spannenden Stimmen der deutschsprachigen Science-Fiction gehört. Absolut lesenswert!

Matthias Göbel

Autor: Erik Harlandt
Taschenbuch: 255 Seiten
Verlag: Selfpublisher
Veröffentlichung: 24.01.2025
ISBN: 9798307975596

Erik-Harlandt.de/autark

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Bearbeitet von einz1975
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